Duckmäusertum und Tempolimit

Auslöser dieses Beitrags ist die Meldung über ein Tempolimit auf der A81 mit der Begründung:

Um Autobahnrasern Rennen zu vergällen, solle auf der Strecke zwischen Engen und Geisingen die Geschwindigkeitsbeschränkung von 130 km/h gelten (…)

Selbstportrait

Wie es via dpa bei Heise Auto gelandet ist. Alle Zitate hier stammen aus diesem Heise-Artikel.

Echt jetzt? So kurz nachdem “illegale Rennen” als Straftat (§315d StGB) eingeführt wurden kommt eine CDU/Grüne Landesregierung mit so einer fadenscheinigen Begründung durch?

Und weiter heißt es im Text:

Parallel zu dem Tempolimit solle es eine Kampagne geben, die insbesondere die für die Rennen bekannten Schweizer Raser auf die neue Gesetzeslage aufmerksam machen soll.

In meinen Worten steht da

Viele Schweizer fahren illegale Autorennen auf einem kurzen Stück der A81. Das ist verboten und kann seit kurzem als Straftat bewertet und mit Gefängnis bestraft werden. Diese Strafen wurden beschlossen, weil das so gefährlich ist, wenn das ein deutscher Fahrer macht. Unsere schweizer Nachbarn machen auf unseren Autobahnen nur ungefährliche illegale Autorennen, daher richten wir an einer Stelle ein Tempolimit für alle und eine Kampagne für Schweizer ein.

Die Kampagne

Und wie soll diese Kampagne konkret aussehen? Anzeigen in Schweizer Tageszeitungen und Radiospots mit dem Text: „Neue Startlinie für Eure illegalen Rennen. Jetzt hinter der Tempo 130 Zone.“ Oder Plakate an der Autobahn mit den Worten “Start verschoben” und “Start jetzt hier!”

Ohne Schweizer

Habe ich wahrscheinlich falsch interpretiert, denn im vorletzten Abschnitt der Meldung wird ein CDU Verkehrspolitiker (der ländliche Verkehrsminister kommt von den Grünen) zitiert:

(.) erinnerte daran, dass zu Anfang der Diskussion eine Strecke von 42 Kilometern mit einem Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde vom Verkehrsministerium favorisiert worden sei, (…)

Oder wie ich es lese: Die Grünen wollten 42 km mit 120, die CDU hat sie auf 130 herauf- und auf

16,8 Kilometern in nördlicher und 18,8 Kilometern in südlicher Richtung

heruntergehandelt. Das sind mehr km/h und nicht mal 50% der Strecke, damit hat die CDU den Kompromiss gewonnen.

Niemand regt sich darüber auf, weil wir es gewohnt sind, dass uns nicht die Wahrheit gesagt wird.

Illegale Rennen

Zuerst einmal werden illegale Rennen dort gefahren, wo die Strecke geeignet ist (laut Gesetz kann man das auch alleine machen, man braucht also wirklich nur die Strecke, nicht mal ein zweites Fahrzeug), ganz unabhängig davon, welches Tempo dort erlaubt ist. Oder gibt es irgendjemanden der noch nie von illegalen Rennen in Stadtgebieten, dort gilt Tempo 50, gehört hat? Gemäß obiger Logik verhindert die pure Exitenz eines Tempolimits doch bereits solche Rennen.
Ginge es wirklich darum, diese Rennen zu unterbinden, hätte man mit dem Strafgesetzbuch eine viel mächtigere Waffe in der Hand. Hat die Polizei in München vor wenigen Tagen gegen einen einzelnen Moppedfahrer angewandt. Ob das in München korrekt angewandt wurde, sei mal dahingestellt, das wird dann vor Gericht geprüft werden. Die StGB-Paragrafen §315b und §315c sehen auch andere gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr vor, so dass man nicht unbedingt auf §315d angewiesen ist.
Eine Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit ist laut §315d nicht einmal nötig, es wird nur nicht angepasste Geschwindigkeit genannt. So ein illegales Rennen ist also auch auf einer Autobahn ohne Tempolimit möglich, meiner laienhaften Nicht-Juristen-Meinung nach.

Unfälle

Interessanterweise fällt das Wort “Unfallschwerpunkt” gar nicht in der Begründung. Es wird auch keinerlei Messung, Zählung, Untersuchung oder irgendetwas Nachprüfbares in der Begründung angeführt.
Es hätte sein können, dass es anfangs die Vermutung gab, dass die A81 auf 42 km Länge ein Unfallschwerpunkt sei. Eine statistische Auswertung von Unfällen der letzten Jahre habe jedoch ergeben, dass nur auf weniger als der Hälfte der ursprünglichen Strecke überdurchschnittlich viele Unfälle geschehen. Bei einem Großteil dieser Unfälle sei eine große Differenzgeschwindigkeit eine der Ursachen, so dass vermutet würde, durch ein allgemeines Tempolimit auf Höhe der Richtgeschwindigkeit könne die Zahl der Unfälle reduziert werden.
Für mich klänge das nach einer nachvollziehbaren (aber auch nachprüfbaren) Begründung.

Andere Begründung

Natürlich könnte man auch andere Gründe angeben, warum ein Tempolimit auf diesem Streckenabschnitt eingeführt wird: Luftverbesserung, Lärmschutz, schlechter Straßenzustand, enge Fahrspuren und so weiter.

Wie wäre es mit was ganz anderem

Oscar Quelle Pinterest

Quelle Pinterest

Die Grünen möchten ein allgemeines Tempolimit in Deutschland einführen. Das ist jedoch bei derzeitiger Gesetzeslage nicht machbar. Daher haben Sie sich einen Autobahnabschnitt ausgesucht, der durch eine ihrer Wählerhochburgen führt (das mit der Hochburg ist reine Spekulation meinerseits) und möchten auf diesen 42 Kilometern Tempo 120 einführen.
Der Koalisationspartner CDU ist dagegen.
Beide Regierungsparteien haben sich auf einen Kompromiss geeinigt, die Grünen bekommen ein Tempolimit auf einem kleineren Streckenabschnitt, dafür kommen sie der CDU bei irgendetwas anderem entgegen. Dadurch werden zwar keine aktuellen Probleme gelöst, bei Parteien der Regierungskoalition halten sich so jedoch weiterhin für wählbar.
Zugegeben, das wäre keine schöne Begründung.

Ehrlich

Glücklicherweise fühlen wir als Wähler uns viel besser, wenn wir hören, dass endlich etwas gegen diese illegalen schweizer Rennen auf unseren deutschen Autobahnen unternommen wird. So wie andere Gesetze uns vor Terroristen schützen oder Steuerhinterziehern und anderen finsteren Gesellen.  

Oder warum lassen wir uns das gefallen? Warum melden wir uns nicht selbst zu Wort? Warum fragen wir nicht bei den Medien, die unsere Werbung unterbrechen nach, warum die nichts dazu sagen, wenn so offensichtlicher Unsinn gemeldet wird? Reicht es uns schon zu erkennen, dass nicht die Wahrheit gesagt wird? Sind wir nicht mal mehr traurig oder wütend darüber, dass keiner sich die Mühe macht, die Wahrheit glaubhaft zu verschleiern?

Mir geht das auf den Pinsel, ich kann die Wahrheit vertragen, Bullshit nicht so.

Und da heißt es immer: Ehrlich währt am längsten.

7 Gedanken zu „Duckmäusertum und Tempolimit

  1. Pingback: Duckmäusertum und Tempolimit – Why Ask Why

  2. Ich oute mich: Ich wäre für ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 km/h. Schneller kann man eh kaum noch irgendwo fahren (ein „Schnitt“ von >100 km/h bei 300-400km Autobahn ist ja nur unter lebensverachtender Fahrweise selbst mit dem Motorrad möglich).
    Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir weniger Unfälle und auch weniger Staus hätten…
    Der Rest – ob Schweizer, Engländer, Äthiopier, Bio-Deutsche oder Deutsche mit Migrations- und PS-sind-geil-Hintergrund – ist mir Fritte… ;)
    Ich finde Fahrten auf Autobahnen in NL, B, CH, A usw. sehr, sehr entspannend – und komme meist schneller voran als auf unseren AB.

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    • Ich sehe das mit dem allgemeinen Tempolimit anders und habe auch andere Erfahrungen damit gemacht. Das möchte ich aber gar nicht hier diskutieren, der hier geht es mir um etwas anderes als das Tempolimit, hier geht es mir darum, wie wir und die Medien damit umgehen, wenn uns offensichtlicher Quatsch erzählt wird.

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  3. Schöner Beitrag, danke. Ich habe viele Puzzlestücke dazu im Kopf.

    Freigeben aller Tempolimits->Selbstverantwortung der FahrerInnen stärken. Rennen gehören auf die Rennstrecke, auch die mit sich selbst. Das bringt maximalen Spaß und jeder kann zeigen/fühlen wie schnell er/sie ist. Das Gefühl ist m. E. im Straßenverkehr nicht erreichbar. Obligatorischer Trackday bei der Führerscheinausbildung?

    Grundsätzlich Tempo 130->täte der Umwelt sicher sehr gut. Hab mal was von -50% NOx gelesen, wenn’s stimmt?! Aber wieder diese „Wir Regel das für dich und du brauchst dein Hirn nicht einzuschalten“ Nummer ist nicht nach meinem Geschmack. Wieder ist meine Selbstverantwortung weg. Nö.

    Wie lange fahren wir noch selber? Ich denke wir dürfen umdenken und dann erledigt sich eine solche Diskussion.

    Ich wünsche uns spannende Zeiten mit fruchtbaren Diskussionen und werde weiterhin mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und an Renntrainings/Rennen aktiv teilnehmen.

    Jörg

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    • Danke für das Lob.
      Ich hatte oben schon geschrieben, dass ich an dieser Stelle nicht über das Tempolimit an sich diskutieren möchte, mir geht es hier darum, mit welchem Blödsinn die Entscheidung begründet wurde und wie wir damit umgehen, wenn man uns diesen Blödsinn vorsetzt.

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  4. Bei uns ist es noch schlimmer. Vor Jahren hat der rotgrüne Senat ein flächendeckendes Tempolimit von 120km/h in Bremen und Bremerhaven eingeführt. Obwohl es damals auf der ganzen dreistreifigen A1 schon eine Verkehrsbeeinflussungsanlage gab (auf der A27 größtenteils mittlerweile auch). Auf den Stadtautobahnen A270 und A281 gilt sogar nur 70/80km/h. An die Begründung kann ich mich leider nicht erinnern. Irgendeine spezifische Schnellfahrergruppe war es jedenfalls nicht.

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