Unfallursache Nr. 1

Reflexartig kommt die Antwort: „Zu schnell gefahren”, wenn die Frage lautet: Was ist die häufigste Unfallursache.

Sagen alle, liest man überall, hört man ständig und wenn dann auf einer Straße irgendwo mal ein Unfall passiert ist steht ein paar Tage später da ein neues Schild mit einer niedrigeren erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Muss also stimmen, Milliarden Fliegen können sich nicht irren.

Tatsächlich ist “nicht angepasste Geschwindigkeit” 2015 nur auf Platz vier der Ursachen bei Unfällen mit Personenschaden.
Die Ursache heißt übrigens “nicht angepasste Geschwindigkeit”, wir verstehen nur immer “zu schnell”.

Logisch

Die Logik sagt: Wenn ein Fahrzeug auf ein anderes fährt, war die Geschwindigkeit am Treffpunkt größer als Null, also zu schnell.
Wenn man nur die Millisekunde des Aufpralls berücksichtigt, ist das wohl richtig. Aber die Frage sollte eigentlich lauten: Warum war die Geschwindigkeit dort zu groß.

Draußen in der echten Verkehrswelt ist es kompliziert herauszufinden, warum denn ein Unfall passiert ist, warum z.B. zwei Fahrzeuge zur gleichen Zeit am gleichen Ort waren.
Populäre Vermutung: Einer war zu schnell. Die Logik gebietet sofort eine weitere Möglichkeit: Einer war zu langsam. Wäre er schneller gewesen, wäre er schon weg, als der andere kam.

Realität

Ob er hätte schneller fahren können oder dürfen sind dann schon wieder andere Fragen.
Ob diese Möglichkeiten bei der Unfallanalyse zur Klärung der Schuldfrage geprüft wird, weiß ich nicht. Da es bei uns keine vorgeschriebene Geschwindigkeit gibt, sondern nur eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit, gehe ich davon aus, dass “zu langsam” nicht standardmäßig bei der Schuldfrage berücksichtigt wird.

Und wer klärt eigentlich die Schuldfrage? Wie gut sind diese Menschen ausgebildet, und welche Werkzeuge, welche Motivationen haben sie? Kann die Polizei am Ende einer Ermittlung sagen “Fahrer A ist schuld, aber wir wissen nicht exakt warum, darum gibt es für Fahrer A keinen Strafzettel,” oder muss am Ende eine strafbare Handlung Grund für den Unfall sein? Die oben verlinkte Tabelle ist jedenfalls nicht vollständig in der Aufschlüsselung der einzelnen Ursachen. Letztendlich muss bei der Erstellung einer solchen Statistik irgendwo ein Kreuzchen gemacht werden.
Bleibt also die Frage, wie bekommt der Ermittler heraus, dass er das Kreuzchen bei “nicht angepasster Geschwindigkeit”  machen muss?

Die echte Nummer Eins

Und warum heißt es nicht “schneller als erlaubt” wenn “zu schnell” und “Unfallursachen Nr.1” schon als Begründung für Radarfallen herhalten müssen? Laut Statistik ist übrigens “Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren” Unfallursache Nr.1 Und damit sind nicht die kleinen Rempler gemeint, es geht ausschließlich um Unfälle mit Personenschaden.

Steile These

Ich behaupte jetzt einfach mal ganz kühn: “Schneller als erlaubt” ist viel viel seltener Unfallursache, als wir denken, ganz egal wie oft in Einzelfällen jemand mit 233 in einer 70er-Zone geblitzt wird. Immer dran denken: Wer geblitzt wird hat keinen Unfall. 

Schon alleine die Bezeichnung “nicht angepasste Geschwindigkeit” klingt nach “alles andere können wir nicht beweisen und irgendwas muss es ja sein” und nicht nach einer echten Ursache. Mindestens genauso gut könnte die Ursache “Unaufmerksamkeit” heißen. Egal wie schnell man fährt, wenn man eine Sekunde lang aufs Handy, Radio, Navi, dem Kindersitz hinten oder den Ausschnitt der Beifahrerin guckt, kann man in dieser Sekunde keine Notbremsung einleiten. Bei 50 km/h fährt man in dieser Sekunde 15 Meter weit, von 25 Metern Bremsweg, jeweils laut Faustformel.
Eine Sekunde weniger bremsen bedeutet eine sehr viel höhere Geschwindigkeit am Einschlagpunkt. Oder anders formuliert, kommt es dann zu einem Unfall, weil dem Fahrer 10 Meter Bremsweg fehlten, sieht es folgendermaßen aus: Der Fahrer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, also war er mit „nicht angepasster“ Geschwindigkeit unterwegs. Nächstes Mal ist da dann Tempo 30. 

Im U.K. hat mal jemand geguckt

Auf eine ähnliche Idee ist man vor 20 Jahren im U.K. auch schon gekommen und hat geforscht. Das Ergebnis klaue ich jetzt mal vom australischen Motorbike Writer:

(…) found that less than 8% of all road crashes involved exceeding speed limits as a causal factor. It clearly identified driver ‘inattention’ as the biggest causal factor in road crashes.

Den gesamten U.K.-Report TRL 323 gibt es zum Download gegen Registrierung.

Wenn ich raten darf, dann ist der Einfluss der Unaufmerksamkeit mit Einführung des Smartphones und vieler elektronischer Fahrhelferlein seit 1997 nicht kleiner geworden, dagegen helfen auch keine neuen Tempolimits.

Warum ich das hier schreibe?

Ich bin heute zweimal fast über den Haufen gefahren worden, einmal war ich zu Fuß unterwegs und einmal mit dem Mopped. Beide male waren die Fahrer abgelenkt, wenn auch gefühlt nicht schneller als erlaubt.

Trotzdem wird immer und überall nur der Raser thematisiert, es gibt Blitzermarathon auf Blitzermarathon, neue Tempolimits und an allen Straßenrändern diese Ablenkungs-Plakate mit der Mahnung „Nicht so schnell“.

Die weitaus häufigeren Unfallursachen werden davon auch aus dem Fahrerbewusstsein gedrängt. „Ich fahre ja nur 80 in dieser Baustelle, da kann ich eben noch ein Selfie posten, bevor ich WhatsApp checke. Ich halte mich ja an die Geschwindigkeitsbeschränkung, da bin ich sicher.“

 

10 Gedanken zu „Unfallursache Nr. 1

  1. Daß es sich bei der „unangepassten Geschwindigkeit“ im irgendenteine Universalantwort handelt, den Verdacht hege ich auch. Die Geschichte vom Raser ist ja auch leicht erzählt. Und sie brennt sich ein. Was das arge dabei ist, für Geschwindigkeit haben wir kein Sinnesorgan. Vor allem nicht, wenn wir einen „schnellen“ Gegenstand von außen betrachten. Es ist sehr schwer, von außen, sagen wir, vom Straßenrand, die Geschwindigkeit einzuschätzen. Da spielen mehrere Faktoren mit rein. Größe und Geräusch des Gegenstands und auch eigene Erfahrung. „Bei dem Geräusch muss der aber schnell sein!“ Dabei hat er sich völlig noch im Rahmen bewegt.
    Von daher sind diese Berichte von Augenzeugen stets mit Vosicht zu genießen.
    Die Hauptprobleme sind wirklich die Ablenkung und die Fehler beim Abbiegen, Ausscheren, Anfahren usw. . Die vermischen sich bisweilen auch schon gerne mal. Denn, wer grad mit der Freundin teliert, der schert auch dann aus, völlig ohne Verkehrsbeobachtung.
    So einen Fall hatte ich gerade gehabt.

    Bei der Faustformel übrigens wird der Reaktionsweg zum Bremsweg dazugezählt. Das ergibt dann den Anhalteweg. Also R = (G : 10) • 3, B = (G:10 • G : 10) B(Gefahr) = (G :10 • G : 10) : 2 . A = R + B
    Bei Tempo 50 kommt die Faustfuso auf einen Anhalteweg von 27,5 m.

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    • Die Formel für B(Gefahr) kannte ich bisher nicht, ist vielleicht erst im ABS-Zeitalter eingeführt wurden, als ich schon lange nicht mehr in die Fahrschule ging. *hüstel* Wie dem auch sei, verdeutlicht es doch noch viel stärker, was eine Sekunde Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr bedeutet. In dieser Sekunde wird bei 50 km/h sogar mehr Wegstrecke zurückgelegt, als für eine Notbremsung gebraucht würde. Also reiner Bremsweg, ohne Reaktionszeit.

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  2. Ich halte die Geschwindigkeiten nicht für das Problem. Zudem meines Erachtens gar nicht verbreitet zu schnell gefahren wird. Ganz selten, wenn über Geschwindigkeitskontrollen berichtet wird, werden nicht nur irgendwelche medienwirksamen Spitzenwerte (statistische Ausreißer) genannt, sondern absolute Zahlen der Gesamtmenge, der Ordnungswidrigkeiten (IMHO bis 15km/h) und der Straftaten (IMHO über 15km/h). Und oft (nicht immer) sind die ersteren prozentual gering und die letzteren sehr gering.
    Das Hauptproblem im Verkehr und noch mehr bei Unfällen, sind Unfähigkeiten. Und zwar auf Seiten der Unfallverursacher und leider auch der (fahrenden) Unfallopfer. Primär ist es das Bremsen, das Reagieren überhaupt. Es nützt nix innerorts Tacho 50 zu fahren, wenn die Reaktionszeit und der Bremsweg der oben genannten Formeln in der Realität viel länger sind. Und dabei rede ich noch nicht von den oben erwähnten Ablenkungen.

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    • Da will ich lieber gar nicht drüber nachdenken, dass der Großteil der Menschen da draußen das eigene Fahrzeug nicht gut genug beherrscht um eine Notbremsung oder ein Ausweichmanöver durchzuführen.

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  3. Ich hatte ja neulich die Gelegenheit länglich auf einem ADAC-Abschlepper mitfahren zu dürfen und habe mich lange mit dem Mitarbeiter unterhalten. Seiner Meinung nach ist Unfallursache Nummer 1 mangelnder Abstand, dicht gefolgt und oft in Tateinheit mit abgelenkt sein durch Smartphone, Navi und anderem.

    Das entspricht meiner empirischen Erfahrung. Allein wenn ich sehe, wie oft die Leute im Stadtverkehr an ihren Handys rumspielen, bin ich eigentlich froh, dass es nicht viel öfter kracht. Und noch was anderes: Ich verstehe Autohersteller nicht, die auf Teufel komm raus die Steuerung von Fahrzeugkomponenten in Software gießen und nur über Touchscreens zugänglich machen. Eine Klimaanlage mit haptischen Kontrollen, also echten Drehreglern, kann ich blind bedienen. Läuft das Ganze über einen Touchscreen mit zig Untermenüs, müsste ich zur Bedienung eigentlich anhalten.

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    • Laut Statistik ist zu geringer Abstand auf Platz drei und nicht beachten der Vorfahrt auf Platz zwei, um Deine Anmerkung zu ergänzen. Wobei die Statistik nur Unfälle mit Personen schaden berücksichtigt.
      Der ADAC Fahrer kommt auch zu Unfällen ohne Personenschaden aber mit nicht mehr fahrtüchtigen Fahrzeugen, wie da die Statistik insgesamt aussieht kann ich nicht sagen.
      Guter Hinweis mit den Touchscreens (alle mit TÜV und ABE und sonst was).

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  4. RASEN IST OUT!
    In der Eifel stehen riesige Schilder auf denen man das lesen kann. Beim vorbei fahren denk ich jedesmal, stimmt doch garnicht, Rasen ist doch grün. Also lassen wir uns kein X für ein U vormachen und glauben nicht alles was so auf den Schildern steht. griesgram, danke das du das thema augegriffen hast. Gefällt mir gut was du da schreibst, besonders die evtl. Unfallursache des zu langsamen fahrens. hahahaha. Dein Einstieg mit der Aussage „zu schnell gefahren“ erinert mich sehr an die Erklärungsversuche von Unfallverursachern die gerne behaupten, nachdem sie einen platt gemacht haben, „hab ich nicht gesehen“. Damit macht man es sich ziemlich einfach.
    Oder? Warum sagt kaum jemand ich habe nicht geguckt oder ich war abgelenkt? Ich kannte jemand, der ist von einem, aus einem Feldweg kommenden Wagen tot gefahren worden.
    Hab ich nicht gesehen war die Standarderklärung vom Unfallfahrer. Mich macht so etwas sehr zornig, ich denk mir auch so einer muß ja irgendwie mit seinem Gewissen ins Reine kommen,
    da liegt dann der Verdacht nahe daß er vielleicht auch denkt, der war ja auch viel zu schnell.
    Ganz Furchtbar. Furchtbar auch, wenn ich sehe, wie viele da draußen rumeiern, ihre Fahrzeuge nicht beherrchen, am Telefon rumfummeln, „komische“ Linien fahren, schlecht oder garnicht reagieren u.s.w. Silencer ich grüße dich! Und das sind dann oftmals die, die auch noch die Deutungshoheit über den Begriff „Raser“ für sich in Anspruch nehmen. Ab wann ist man eigentlich ein Raser? griesgram, könnte das ein Thema für deine Seite sein? Dann könnte ich in den Kommentaren mein Geständnis veröffentlichen. LIEBEn Gruß rudi rüpel

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    • Und ich dachte immer: Rasen ist out, Gras ist in.
      Du kannst gerne ein Gast-Beitragsgeständnis schreiben und es mir per E-Mail an Griesgram ät gmx dot net schicken.
      Ich bin in meinem Leben zwar schon öfter schnell gefahren, aber noch nie gerast.

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      • hahahahahahahahaha (lachblitz), so jez hab ich mich wieder gefangen. Gras is schon lange out, aber das weißte. Heut gibt es Designer Drogen und Designer Moppeds obwohl die schon immer gestaltet waren. Vielen dank für dein Angebot, hat mich sehr gefreut, nur ich finde du kannst deine Gedanken so schön zu (Papier?) bringen, so daß ich mich schon im Zustand der Vorfreude befinde, obwohl du noch keine Zeile geschrieben hast. Und außerdem ist es der Diskussion sicher zuträglicher als ein Gast-Geständnis. LIEBEn Gruß rudi rüpel

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